BFH: Finanzämter kennen eigene Steuergesetze nicht

Bundesfinanzhof urteilt: Deutschlands Finanzämter verstehen eigene Steuergesetze nicht. Bundesländern drohen Steuerrückzahlungen in den Milliarden.

BFH: Finanzämter kennen eigene Steuergesetze nicht 03/06/2019

Steuerrecht ist komplex – vermutlich auch deshalb, weil der Staat hier ohne direkte Gegenleistung seine Bürger abkassiert und deshalb ordentlich Verwirrung stiften muss – besonders komplex (oder unverständlich) ist jedoch das deutsche Steuerrecht. 60 % der Welt(!)literatur zum Thema Steuern sollen sich allein mit dem deutschen Steuerrecht befassen, das anscheinend derart komplex ist, dass selbst die Vollstrecker, die Finanzämter, es ebenfalls nicht mehr fehlerfrei beherrschen. Nun drohen den Bundesländern wegen fehlerhafter Rechtsanwendung Steuerrückzahlungen in Milliardenhöhe.

Der Bundesfinanzhof (BFH) in München ist Deutschlands höchstes Gericht in Sachen Steuern; von dort hagelte es jüngst eine Ansage (Urt. v. 27.09.2018, Az. V R 49/17), die den Bundesländern gewaltige Rückerstattungspflichten von bis zu acht Milliarden Euro auferlegt. Der Hintergrund ist, dass die Finanzämter jahrelang gesetzliche Regelungen betreffend die Umsatzsteuer bei Bauvorhaben falsch ausgelegt haben.

Verwirrung bei der Besteuerung von Bauvorhaben: Wer besorgt die Umsatzsteuer, beauftragte Bauunternehmer und Handwerker oder der Bauträger?

Dem aktuellen Urteil des BFH vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit über die Frage, wer bei Bauvorhaben die Umsatzsteuer an den Staat abzuführen hat. Der Bauträger, der Bauunternehmer und Handwerker beauftragt oder letztere, wenn diese für ihre Leistungen Umsatzsteuer in ihren Rechnungen ausweisen. Die lokalen Vollstrecker des deutschen Steuerrechts, die Finanzämter, sahen die Zuständigkeit bei den Bauträgern, sodass die mit dem eigentlichen Bauhandwerk beschäftigten Unternehmen diesem stets Netto-Rechnungen stellten – sie mussten ja auch nichts abführen. Ende 2013 knallt es jedoch, der BFH entscheidet, dass die Steuereintreiber das Gesetz falsch ausgelegt haben. Nicht der Bauträger, sondern der Bauunternehmer oder Handwerker ist der Steuerschuldner für die Umsatzsteuer.

Ende 2013: Erster Paukenschlag vom BFH, das Rückerstattungskarussell gerät in Bewegung. Wer schuldet wem was? Das Finanzamt dem Bauträger, der dem Handwerker und der Handwerker dem Finanzamt!(?)

Auf diesen ersten Knall aus München setzte sich eine komplizierte – denn wie eingangs erwähnt: im Steuerrecht muss stets alles kompliziert sein, jedenfalls in Deutschland – Kette aus (Rückerstattungs-)Forderungen in Gang. Viele Bauträger, die über Jahre und zu Unrecht Umsatzsteuer an die Finanzämter abführten, versuchten, diese vom lokalen Sheriff zurückerstattet zu bekommen. Die Steuereintreiber jedoch wollten die Umsatzsteuer zunächst, und obgleich schon einmal vereinnahmt, von den Bauunternehmern und Handwerkern – frei nach dem Motto, was ich einmal habe (gleich aus welchem [Nicht-]Grund), gebe ich nicht wieder her – rückwirkend einziehen. Die von der plötzlichen Steuerschuld überraschten Bauunternehmen und Handwerker, soweit sie nicht bereits in der Insolvenz verschwunden waren, reichten die Rechnung sodann an den Bauträger durch indem sie schlicht nachträglich Umsatzsteuer auf die erteilten Netto-Rechnungen schlugen. Diese Umsatzsteuer-Forderungen konnten die Handwerker zudem häufig an den zuständigen Sheriff abtreten und waren dann fein raus.

Finanzämter: Was ich einmal habe, egal, ob berechtigt oder nicht, gebe ich (so leicht) nicht wieder her

Wir halten also fest, die Finanzämter schulden den Bauträgern die Erstattung fälschlich gezahlter Umsatzsteuer, die Bauträger wiederrum schulden den Bauunternehmern und Handwerkern Umsatzsteuer, diese schulden diese wiederrum den Finanzämtern. Die Bauunternehmer und Handwerker geben ihre Forderung gegen den Bauträger an die Finanzämter ab – und die Bauträger? Die schauen zunächst in die Röhre, denn keine Erstattung ohne (erneute!) Umsatzsteuer-Zahlung an die ausführenden Bauunternehmer und Handwerker, der Sheriff verrechnet lieber und bleibt so auf sicherer Seite (was man einmal hat…).

Die Bauträger jedoch zogen vor die Finanzgerichte und bis hoch hinauf zum BFH. Die zentrale Streitfrage war dann, ob der Bauträger treuwidrig handelt, wenn er vom Staat die Erstattung der zu Unrecht eingetriebenen Umsatzsteuer verlangt ohne zunächst die Umsatzsteuer-Forderung der Bauunternehmer und Handwerker ausgeglichen zu haben (die ohnehin meist direkt an die Eintreiber abgetreten wurde). Der BFH hat die Frage jedoch klar beantwortet, eine Treuwidrigkeit kommt nicht in Betracht, wenn zunächst die Finanzämter das Gesetz falsch angewendet und so den Stein des Anstoßes für die rechtswidrige Besteuerung gesetzt haben.

BFH: Die Finanzämter haben das Gesetz falsch angewendet und dürfen bereits deshalb nicht einbehalten, was sie zu Unrecht eingezogen haben, nicht einmal zur Verrechnung.

Für die lokalen Sheriffs und so eben auch die Bundesländer dürfte das nun ziemlich teuer werden. In mit der Sache befassten Kreisen heißt es, die Erstattungen dürften sich auf zwei bis vier Milliarden Euro belaufen; manch einer geht sogar von bis zu 8 Milliarden Euro aus. Doch als wäre das für den Fiskus – der hier wohl eher den Sachverstand eines Fikus’ zeigte – nicht schon schlimm genug, steht im nächsten Jahr noch die Frage nach den Zinsen an. Denn die Bauträger möchten zu Recht ihre Forderung auch verzinst sehen und haben entsprechende Forderungen angemeldet.